Ethisches Spannungsfeld – Freiheit und Schutz im Kontext der psychiatrischen Versorgung. In Ethik im Gesundheitswesen. Herausgeber Riedel A, Lehmeier S, Springer Verlag
Wetterauer, C., & Reiter-Theil, S. (2021)
Dieses Kapitel reflektiert ausgewählte ethische Fragen in der Psychiatrie aus der Perspektive der Klinischen Ethik, d. h. im Hinblick darauf, welche ethisch relevanten Schwierigkeiten Behandelnde und Betroffene erleben, und welche Konzepte bei der Problemlösung hilfreich sein können. Im Unterschied zu einer philosophischen oder theologischen Fundamentalethik gehört es zur Aufgabe der Klinischen Ethik, auftretende Probleme so anzugehen, dass sie nicht nur klarer werden, sondern für die Beteiligten auch besser in der Praxis zu handhaben, notfalls auszuhalten oder im Idealfall zu lösen sind (Reiter-Theil und Mertz 2012). Keinesfalls gehört es zur Aufgabenstellung, durch Vertiefung einer Problemanalyse (die akademisch sehr wertvoll sein mag) die Beteiligten von einer Problemlösung weiter zu entfernen, sei dies durch die Stimulation von inneren Prozessen wie einer zu starken Fokussierung auf Details oder von interaktiven Prozessen wie der Eskalation von Dissens. Von ähnlich grundlegender Bedeutung ist dabei nicht nur eine transparente Orientierung an ethischen Grundprinzipien, sondern auch ein systematischer Perspektivenwechsel, der transparent macht, welche Bedürfnisse oder Verpflichtungen im Spiel sind. Ein so verstandener systematischer Perspektivenwechsel umfasst neben Einzelpersonen (Patient/in – Behandelnde) und Zweierbeziehungen – zentral ist hier die therapeutische Beziehung – selbstverständlich auch die Bezugspersonen der Professionellen (Team) und der Patienten (Angehörige) und das institutionelle Umfeld samt seinen ethisch relevanten Grundsätzen (z. B. Leitbild). Neben diesen sozialen Perspektiven gehören auch ideelle Perspektiven dazu, vor allem relevante Richtlinien, die Gesetzeslage, spirituelle und kulturelle Wertvorstellungen, welche die ethische Problematik färben (Reiter-Theil 2005).